Ferien laissez faire: Deutsche Eltern gehen die Erziehung im Urlaub locker an

Ferien laissez faire: Deutsche Eltern gehen die Erziehung im Urlaub locker an

  • Eltern außer Dienst: 63 Prozent der deutschen Eltern lassen im Urlaub die Erziehungszügel locker und räumen ihren Kindern mehr Freiheiten ein als zu Hause.
  • 56 Prozent der deutschen Kinder dürfen im Urlaub 1-2 Stunden länger aufbleiben.
  • Rund ein Drittel der Eltern gönnen den Kindern pro Urlaubstag ein Eis.
  • Diplom-Psychologe Michael Thiel erklärt, warum Eltern im Urlaub Fünfe gerade sein lassen und warum man als Familie gemeinsam über die Stränge schlagen darf.

Mütter und Väter haben ja eigentlich nie frei, doch wie eine neue Umfrage von YouGov im Auftrag von FeWo-direkt jetzt zeigt, nehmen sich fast zwei Drittel der deutschen Eltern im Familienurlaub eine Auszeit vom Erziehungsalltag. Während 90 Prozent der Eltern zu Hause auf Routinen und Regeln achten, ist 46 Prozent die Alltagsroutine im Urlaub weniger und weiteren 17 Prozent überhaupt nicht wichtig.

Lang aufbleiben ist im Urlaub ganz normal

Einer der gängigsten Routinebrecher im Urlaub ist die Schlafenszeit. Im Alltag wird in deutschen Familien streng darauf geachtet, dass der Nachwuchs seinen Schlaf bekommt. In zwei Dritteln der Familien gibt es feste Zubettgehzeiten. In den Ferien jedoch dürfen weit über 90 Prozent der Kinder länger aufbleiben, mehr als die Hälfte (56%) zwischen ein und zwei Stunden. Fast ein Viertel der Eltern lässt die Sprösslinge sogar selbst entscheiden, wann sie ins Bett gehen möchten.

Diplom-Psychologe Michael Thiel weiß, warum viele Eltern den Nachwuchs im Urlaub einfach mal „machen lässt“: „Im Urlaub sind Eltern selbst weniger gestresst. Der Ärger auf der Arbeit fällt weg, der Zeitdruck im Alltag ist weniger und sie können sich auch mal um sich selbst kümmern. Diese Entspannung wirkt sich auf den Umgang mit den Kindern aus. Regeln müssen nicht mehr so streng eingehalten werden, weil am nächsten Tag keine Konsequenzen zu befürchten sind. Wenn das Kind am nächsten Morgen noch unausgeschlafen ist und nicht aus dem Bett kommt, wen kümmert das?“

Pizza, Pommes und jeden Tag ein Eis – Urlaub im Schlaraffenland

Anders als zu Hause kommen im Urlaub auch viel häufiger Dinge auf den Tisch, die normalerweise auf der roten Liste stehen. Cola zum Beispiel: Bei fast 30 Prozent der Familien ist die im Alltag komplett tabu. Im Urlaub hingegen kommt der Nachwuchs von knapp einem Drittel der Eltern sogar mehrmals wöchentlich in den Genuss der süßen Brause. Die Kinder dürfen aber nicht nur mehr Cola trinken, sondern auch mehr Pommes, Pizza und Eis vertilgen. Während im Alltag Pommes Frites bei nur 12 Prozent der Familien mehrmals pro Woche auf dem Speiseplan stehen, dürfen fast viermal so viele Kinder (40%) ihre geliebten Pommes an mehreren Tagen in der Urlaubswoche verspeisen. Mehr als jede zehnte Familie gönnt sich im Urlaub sogar jeden Tag eine Portion. Ähnlich häufig landet Pizza auf den Urlaubstellern. Auch bei Eis sind Eltern großzügig: Ein Drittel der Kinder darf sich jeden Tag über die süße Schleckerei freuen. Zu Hause kommt jedes achte Kind in diesen Genuss.

Das kommt nicht von ungefähr, denn laut FeWo-direkt-Umfrage gönnt sich gut die Hälfte der Erwachsenen (52%) im Urlaub selbst ein bisschen mehr an kulinarischen Lastern. „Sehr gut“, findet das Michael Thiel, denn „gemeinsames Genießen und Sündigen kann sogar den Familienzusammenhalt festigen: Wir machen jetzt mal ganz bewusst Ferien von Kontrolle und Kalorien zählen und schlecken genüsslich ein Eis oder zelebrieren das Pizzabacken in unserer Ferienunterkunft. So kann das gemeinsame ‚über die Stränge schlagen‘ zu schönen Erlebnissen werden, an die sich die Familie später im Alltag immer wieder gerne erinnert.“

„Als Vater weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die Alltagsregeln im Urlaub aufgrund der vielen neuen Eindrücke nur schwer aufrechtzuerhalten sind“, sagt Wolfgang Pagl, Director Vacation Rentals bei der Expedia Group. „Deshalb sind Ferienhäuser und Ferienwohnungen bei Familien auch so beliebt. Frühstücken im Schlafanzug, Zähneputzen am Nachmittag oder gemeinsame Lagerfeuer im Garten bis spät in die Nacht sind eben nur in privaten Unterkünften möglich, wo man als Familie unter sich ist, nicht auf Zimmernachbarn achtgeben muss und ganz einfach die Zeit zusammen genießen kann.“

Das letzte Wort haben Eltern und Kinder

Immer ihren Willen durchsetzen dürfen die Sprösslinge allerdings nicht. Die Mehrheit der Familien in Deutschland (56%) wechsel sich im Urlaub mit dem Entscheiden untereinander ab: Mal dürfen die Kinder bestimmen, mal die Eltern. „Es fördert das Selbstbewusstsein, wenn Kinder ab und zu mitentscheiden dürfen, was am Tag unternommen werden soll“, weiß auch Michael Thiel. „Zu viel Alltagstrott blockiert die geistige Entwicklung – von Kindern und Erwachsenen.“ Trotz der gelockerten Alltagsregeln mutieren die Kinder dann auch nicht zu kleinen Quälgeistern, wie drei Viertel der Mütter und Väter bestätigen. Rund jeder sechste Elternteil empfindet das Benehmen der Kinder im Urlaub sogar besser als zu Hause.

Alles hat ein Ende – auch die Erziehungspause

Jeder noch so schöne Urlaub ist allerdings irgendwann vorbei. Zu Hause angekommen, benötigt gut die Hälfte (55%) der deutschen Familien ein bis zwei Tage, um zurück in den Alltag zu finden. Ein bisschen länger, drei bis fünf Tage, dauert es bei etwa 20 Prozent. „Es ist ganz natürlich, dass wir ein paar Tage für die Wiedereingewöhnung benötigen“, sagt der Familienpsychologe. Thiel empfiehlt deshalb, den Urlaub schon etwas vor der Heimreise langsam ausklingen zu lassen: „Die Kinder etwas früher ins Bett bringen, wieder eine gemeinsame Frühstücksroutine einführen – das lenkt alles ganz allmählich in Richtung Alltag.“

Über die Umfrage Die Umfrage über Routinen im Familienalltag und im Urlaub führte YouGov im Auftrag von FeWo-direkt vom 11. bis 17. Juni 2021 aus. Befragt wurden 1.200 Eltern aus Deutschland mit Kindern unter 18 Jahren.

Über Michael Thiel Michael Thiel arbeitet seit über 20 Jahren als Diplom-Psychologe mit Einzelpersonen, Paaren und Familien. Er begleitet Personen aus der Medienwelt und coacht Mitarbeiter*innen und Manager*innen unterschiedlicher Firmen. Außerdem arbeitet Thiel als Moderator und psychologischer Experte für Presse, Funk und Fernsehen.